Am Dienstag, den 19. September 2023, veranstaltete das Institut für Europäische Gesundheitspolitik und Sozialrecht eine wissenschaftliche Tagung zum Thema „Das Vertragsarztrecht – ein „Systemsprenger“? Zwischen Veränderungsresistenz und neuen Herausforderungen“.
Das Vertragsarztrecht wurde in den 1990er Jahren in der rechtswissenschaftlichen Literatur als „verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Spätentwickler“ (Schnapp) bezeichnet, andere sprachen von einem „Wespennest ungeklärter juristischer Probleme“ (Isensee). Obwohl diese Befunde alt sind, haben Rechtswissenschaft und Rechtspraxis bis in die jüngste Zeit hinein nur teilweise überzeugende Auflösungen oder Rechtfertigungen für die Systembrüche und die verfassungsrechtliche „Ignoranz“ entwickeln können – man ist versucht zu fragen: Wie auch? Die Gesetzgebung trägt stetig dazu bei, neue Probleme und neue Referenzfälle entstehen zu lassen. Klassiker wie die Anforderungen der Wesentlichkeitslehre im Rahmen der Berufsfreiheit oder die Frage der demokratischen Legitimation der Rechtssetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses werden mangels abschließender bundesverfassungsgerichtlicher Klärung seit einem Vierteljahrhundert bei jeder (vermeintlichen) neuen Gelegenheit erneut aufgelegt. Ohne Folgen? Rechtswissenschaftlich können wir beim Vertragsarztrecht möglicherweise alle Eigenschaften finden, die neuerdings einer Klientel der Jugendsozialarbeit zugeschrieben werden: „Systemsprenger“. Gleichzeitig steht das Vertragsarztrecht in der Praxis vor neuen Herausforderungen, wie sich an der aktuellen Diskussion um die Regulierung medizinischer Versorgungszentren zeigt. Ist das Leitbild des Vertragsarztes nur ein notwendiger wie nützlicher Speicher für rechtsdogmatische Aussagen oder aufgrund seiner Ausdifferenzierungen womöglich ein Hemmnis für notwendige Reformen? Diese Fragen wurden von Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft und Praxis mit unseren Teilnehmerinnen und Teilnehmern diskutiert.